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Vor genau 17 Jahren, also 1996 war ich das erste und bis dato letzte Mal auf Hawaii. damals noch mit Profi-Lizenz, auch wenn ich Vollzeit arbeitete und somit kein echter Profi war. Seinerzeit flog ich mit entsprechend großen Ambitionen auf die Insel, nachdem ich im selben Jahr bei den ironman-Rennen in Lanzarote und Zürich jeweils ind der Gesamtwertung vierter geworden war.

Das damals selbst gesteckte Ziel Top 20, vielleicht auch wenn es gut läuft Topten, verfehlte ich dann allerdings im Rennen in Kona deutlich, musste große Teile des Marathons gehen und hatte irgendwann nach dieser enttäuschenden Performance in letztlich 10h25' beschlossen, dass das eben nicht mein Rennen ist und ich nicht für Hitzerennen gebaut bin.

 

Im Jahr darauf 1997 kam unser erster Sohn Frederic zur Welt, die weiteren Kinder folgten und es gab dann für viele Jahre erstmal wichtigeres, als Triathlonambitionen auszuleben. Triathlon-Wettkämpfe machten wir von 1997 bis 2001 ohnehin nur ganz wenige und auch als wir ab 2002 wieder mehr Spaß und Ehrgeiz für Triathlon hatten, war der Hawaii-Ironman sehr unwichtig; es gibt so viele andere interessante Langdistanzen (Roth, Lanzarote, Klagenfurt, Frankfurt, Regensburg, Wales, UK), die wir alle nach und nach (oft durchaus erfolgreich) absolvierten. Bei den Rennen, die unter dem Ironman-Label stattfanden, holte ich auch jedes mal einen Hawaii-Slot (so nennt man im Szene-Jargon die Qualifikation für einen Startplatz in Hawaii), also 5 Mal in Folge, den ich aber jeweils postwendend ablehnte.

 

Trotzdem verfolgte ich das Rennen im Oktober jedesmal alljährlich aus der Ferne- und immer wieder dabei auch der Gedanke im Hinterkopf: da könntest du eigentlich auch dabei sein.

Letztlich ist Hawaii nicht nur irgendein Rennen sondern das Rennen.

Das Rennen mit den stärksten Konkurrenten, die alle auch versuchen an diesem einen Tag im Oktober in Topform zu sein.

Das Rennen mit den schwierigsten äußeren Bedingungen (unberechenbare Hitze mit oft hoher Luftfeuchtigkeit, starke Winde auf der Radstrecke).

Das Rennen mit dem schwierigsten Schwimmpart (Wellen, Strömungen im Pazifik, Massenstart mit 2000 Teilnehmern tragen maßgeblich dazu bei, dass hier i.d.R. die Schwimmzeiten mind. 5 Minuten langsamer sind als bei allen anderen Langdistanzen).

Und es ist das Rennen, das die historische Wurzel des Triathlonsports darstellt: hier wurde Triathlon als Ergebnis einer Stammtischwette erfunden als Kombination aus Schwimmen, Radfahren und Laufen und zwar schon damals 1978 schon mit genau mit diesen auch heute noch gültigen Distanzen 2,4 Meilen Schwimmen, 112 Meilen Radfahren und 26,2 Meilen Laufen.

Längst sind unsere Kinder groß geworden und eifern uns im Triathlon nach. Frederic hat mich auf der Triathlon Sprintdistanz bereits von der Leistung überflügelt und deshalb reifte die letzten Jahre in mir der innere Wunsch, vielleicht doch noch mal als Wettkämpfer nach Hawaii zurückzukommen, wenn schon nicht um selbst erfolgreich zu sein, dann wenigstens, um unseren Kindern zu zeigen, was dieses Rennen und auch das ganze Drumherum, die Atmosphäre ausmacht. Wenn man entsprechen sensibel dafür ist, dann spürt man: der Pier in Hawaii (Ort der Wechselzone und des Schwimmstartes), der Alii Drive, (erste 15 Kilometer des abschließenden Laufes und die letzten 500m vor dem Ziel), der Queen-K-Highway (Radstrecke und Teil der Marathonstrecke), das Energylab, die Palani-Road atmen Geschichte. Triathlongeschichte.

Soviele Dramen haben sich hier in den vergangenen 35 Jahren abgespielt, soviele Träume sind wahr geworden oder (noch viel häufiger) zerplatzt, soviel Athletenschweiß ist auf den meist glühend heißen Asphalt getropft und verdunstet...

Vor diesem Hintergrund kam es dann in diesem Jahr so, dass ich nach geschaffter Hawaii-Qualifikation in Wiesbaden Frederic, der am selben Wochenende im DTU-Lehrgang in Kienbaum weilte und von meinen Hawaii-Reiseambitionen noch nichts ahnte, auf dem Handy eine Whatsapp-Nachricht schickte, ob er mich nicht nach Kona begleiten wollte. Er sagte spontan sofort zu und ich nahm diesmal den Slot an. Leider hatte Heike beim selben Wettkampf die Qualifikation als Dritte der Europameisterschaften denkbar hauchdünn verpasst (ein zweiter Rang hätte genügt), so dass wir nicht als komplette Familie den Trip nach Kona in Angriff nehmen konnten. Es wurde so eben ein „Vater-Sohn-Ding“, das von Heike aber bis in fast alle Details (Flug, Unterkunft, Mietwagen) organisiert wurde

 

Nachdem der Wettkampf bezahlt, die Flug, Unterkunft und Mietwagen gebucht war und ich meinem größten Fan schon auch ein gewisse "Show" bieten wollte, nahm ich die verbliebenen 6 Wochen der Vorbereitung durchaus ernst und soweit neben Job (den verbliebenen Resturlaub für 2013 musste ich für die Reise selbst einsetzen) und Familie Zeit blieb steckte ich noch einige Extra-Stunden in die Trainingsvorbereitung (deutlich mehr als ich für vergangene Langdistanzen investiert hatte) und hoffte, dass die Form im Vergleich zu Wiesbaden, wo ich mit meiner Rad-und Laufleistung nicht richtig zufrieden war, nochmal deutlich nach oben ging.

 

Die Trainingsergebnisse gegen Ende der unmittelbaren Hawaiivorereitung stimmten mich auch optimistisch, das Konzept schien aufzugehen. Nachdem ich seit dem Frühjahr keine langen Rad- und Laufeinheiten mehr gemacht und im Juli, August und September kaum mehr Wettkämpfe absolviert hatte, war der Körper frisch und trainingsreizempfänglich. Ich konnte am Ende der Hawaiivorbereitung auf dem Rad Durchschnittsgeschwindigkeiten wie schon seit Jahren nicht mehr treten, hatte einen sehr guten Halbmarathon in der Nähe meiner persönlichen Bestleistung absolviert (und gewonnen) und schaffte auch mehrere sehr gute Schlüssel-Trainingseinheiten und mit angepasster Ernährung gelang es mir sogar mein Gewicht nochmal um 2kg gegenüber Wiesbaden zu reduzieren. Weniger Gewicht bedeutet im Triathlon auch weniger über die Laufstrecke schleppen zu müssen und auch weniger „Wärmedämmung“ durch das Subkutangewebe zu haben, so dass sich die Bewegungshitze der Muskeln besser nach außen abführen lässt. Wen Details des Trainings interessieren: die wichtigsten Trainingseinheiten habe ich auf "connect garmin" dokumentiert.

Aber gute Trainingsform und gute Leistung im Wettkampf, also seine Möglichkeiten auch am Tag X umsetzen zu können sind immer zwei verschiedene Paar Schuhe. Das weiß man mit 25 Jahren Triathlonerfahrung. Man kann so viele Fehler bei einer Langdistanz begehen: bei der Renneinteilung, in den letzten Einheiten kurz vor dem Rennen, die die Form zuspitzen sollen, bei der Ernährung, beim Material usw.

Soviel sei hier schon gesagt: am Renntag gestern hat das meiste gepasst! Es war kein perfektes Rennen, aber eines, das in vielen Abschnitten trotz aller Quälerei Spaß gemacht hat und dass es schließlich mit der erhofften Podiumsplazierung endete und selbst der Titel zeitweise möglich gewesen wäre ist natürlich ein echtes Happy End!

Wir reisten 6 Tage vor dem Rennen nach Hawaii. Später als die meisten anderen Athleten, aber in der Hoffnung, den 12h-Zeitverscheibungsjetlag so noch irgendwie zu kompensieren. Tatsächlich gelang mir das nur teilweise. In keiner der Nächte vor dem Rennen schlief ich mehr als 5 Stunden (daheim brauche ich sonst mind. 8 Stunden), war aber trotzdem früh um 4 oder halb 5 einfach schon hellwach (und auch im Verluf des Tages i.d.R. Nicht unausgeschlafen). Vieleicht braucht man im heißen Klima von Hawaii auch einfach weniger Schlaf. So redete ich mir das zumindest ein.

Die letzten Tage der Rennvorbereitung flogen nur so vorbei. Hier noch einmal ein etwas intensiverer Lauf (bei der das obige Bild entstand), da noch eine 80km Radeinheit mit diversen Kilometern im Wetkampftempo. Zweimal Schwimmen im Ozean, zweimal im Kona Aqautic-Center, Radmaterial wettkampfbereit machen, Nudelparty, Wettkampfbesprechung, Einchecken.

Willkomene und spaßige Ablenkung war der mittlerweile auch schon legendäre „Underpantsrun“ am Donnerstag vor dem Rennen, der vor Jahren als ironischer Protest gegen die in vielen Situationen aus Sicht der Amerikaner allzu leicht bekleidet auftretenden „Germans“ entstanden war und mittlerweile Kultcharakter entwickelt hat. An die 2000 Teilnehmer liefen in Unterwäsche oder/ und Kostümen die ca. 2,5 Meilen mit. Es ist absehbar, dass wahrscheinlich schon im nächsten Jahr der Underpantsrun erstmals mehr Teilnehmer hat, als das eigentliche Ironman-Rennen wenige Tage danach! ;-)

Der Rennmorgen am Samstag früh lief in Teilen ab wie früher: Aufstehen um 3h30, Frühstücken (bei mir traditionell Nudeln mit Rosinen), obwohl man eigentlich keinen Hunger hat, Tüten und Wettkampfoutfit nochmal checken... Heike fehlte mir plötzlich. Mir wurde bewusst, dass ich noch nie eine Langdistanz gemacht hatte, bei der sei nicht entweder auch mitgemacht hatte oder zumindest als Supporterin an meiner Seite war.

Als ich beim Frühstück mit ihr daheim, wo es schon Nachmittag war, chattete, sie mir erzählte, wer alles daheim vor den Rechnern und Livestreams mit mir fieberte, Daumen drückte, hatte ich plötzlich Heimweh und Tränen in den Augen (Geht mir auch jetzt beim Schreiben noch so... ;-). Aber das musste ich jetzt ausblenden, machte mich um kurz vor 5 Uhr mit Frederic auf den Weg in die Wechselzone, in der mich natürlich die große Hektik von mehr als 2000 ähnlich aufgeregten Athleten in den letzten Vorbereitungen erwartete.

Oberarmbeschriftung mit Tattoos, Laufräder aufpumpen, Tacho montieren, Verflegung am Fahrrad positionieren. Die Nervosität wurde nochmal größer, als ich feststellen musste, dass ich die für die Befülliung der Lenkerflasche vorgesehene Radflasche in die falsche Tüte gesteckt hatte, die noch in Frederics Rucksag lag, der natürlich nicht mit in die Wechselzone gedurft hatte und mittlerweile nicht erreichbar war. Egal , da drüben stand ja eine Palette mit tausenden Wasserflaschen, also schnell einen der vielen offiziellen Helfer angesprochen:“ I've forgottten one of my bike bottles, may I have one of these“ „No, it's only for the volunteers“ „Are there any official aid stations here in the transition area“ „I don't know“ :-( Da solle noch einmal jemand was übr deutsche Bürokratie sagen: die US-Amerikaner haben da längst gleichgezogen und sind dabei trotz al ihrer Freundlichkeit oft unglaublich unflexibel.

Nach 20 MinutenSuche und Fragerei fand ich dann endlich im verwinkelten Wechselzonenbereich die einzige Stelle, an der es Wasserbecher für Athleten gab, aber auch da bekam ich nicht die ersehnte Wasserflasche, sondern eben nur Pappbecher. Mit 5 halb gefüllten Pappbechern balancierte ich dann die 500m zu meinem Fahrrad und konnte so die fest montierte Lenkerflascche doch noch füllen (statt mit Maltodextrin-Lösung wie vorgesehen,also eben nur mit Wasser aber als Energiequelle hatte ich ja zum Glück meine Powergels dabei).

Um 6h30 fiel dann der Startschuss der Profis, von dem ich aber wenig mitbekam, weil ich mich zu dem Zeitpunkt bereits rennfertig macht und meinen brandneuen Schwimmanzug von Sailfish (vielen Dank an Jan Sibbersen und Fredrik Ljungström, die mir noch wenige Tage vor dem Rennen einen Sailfish Rebel Swimskin besorgt hatten) über den Triathlonanzug anzog.

Das Schwimmen hatte ich in den vergangenen 8 Wochen bewusst am wenigsten trainiert, weil die eine Stunde Schwimmen zu den insgesamt 9 Stunden Wettkampf prozentual am wenigsten beiträgt und ich die bei einem Amateur naturgemäß begrenzte Trainingszeit lieber ins Radfahren und Laufen stecken wollte. Dementsprechend rechnete ich auch hier mit einem spürbaren Rückstand auf die direkten Konkurrenten, wollte aber vor allem halbwegs entspannt und möglichst wenig ermüdet diese erste Disziplin hinter mich bringen und dann eben auf dem Rad die verlorene Zeit gut machen.

Die Startphase nach dem Startschuss um 7:00 früh erwischte ich gut, startete aus der ersten Reihe und konnte die bei einem 2000-Mann-Start unvermeidliche Prügel zwar nicht ganz vermeiden, aber zumindest im Rahmen halten. Nachdem der erste Schwimmkilometer überstanden war, wurde es auch ein akzeptables Rennen. Ich schwamm zwar wenig Wasserschatten, sondern hielt mich lieber am rechten Rand des Feldes auf, von wo man, wenn es eng wurde leichter sich dem Getümmel und Positionskämpfen entsziehen konnte, aber letztlich erreichte ich das Ufer nach 1:03 h schneller als erwartet, denn ich hatte auch u.U. mit 1:05 h  insgeheim gerechnet, nachdem die Pool-Zeiten noch vor drei Wochen ziemlich schlecht waren.

 

In meiner Altersklasse war ich damit nur auf Rang 62 meiner Klasse (und 566 gesamt), aber jetzt kamen ja erst die beiden Disziplinen auf die es bei der Langdistanz vor allem ankommt.

Bereits nach wenigen Kilometern auf der Radstrecke merkte ich, dass mich mein Gefühl in den Trainingseinheiten vor dem Wettkampf nicht getäuscht hatte: die Beine waren gut und ich machte Platz um Platz gut. Konzentriert beobachtete ich meine Herzfrequenz, denn ich wollte in dieser frühen Rennphase zwar Boden gut machen aber mich aber auf keinen Fall schon zu sehr verausgaben.

 

Oft hatten wir auf den ersten 100km Rückenwind, so dass ich nicht nur Plätze gut machte, sondern auch so schnell unterwegs war, dass ich schon zweifelte, ob mein GPS-Tacho überhaupt die korrekte Gschwindigkeit anzeigte. In Hawi, nach etwas mehr als der Hälfte der Radstrecke hatte ich eine Durchschnittsgeschwindigkeit von unglaublichen 42km/h (noch nie war ich in einer Langdistanz zu diesem Zeitpunkt schneller unterwegs) aber jetzt kam ja auch erst der Heimweg mit dem dann unvermeidlichen Gegenwind.

Ab dem Wendepunkt in Hawi wurde die Radstrecke nun auch schwierig. Schwierig, weil nun spürbar die Ermüdung der Beine einsetzte (war ich vielleicht bis dahin doch zu schnell unterwegs, der vorgesehene Puls zu hoch gewesen?) und schwierig, weil nun ein großer Pulk mit Radfahrerrn, die ich am Anstieg nach Hawi überholt und hinter mir gelassen hatte, in krass regelwidriger Weise in der Abfahrt wieder auf mich aufrollte, mich verschluckte und am Ende des Pulks wieder ausspuckte hinter diesem Pulk gab es eine Perlenkette von einzelnen Fahrern, in die ich mich einreihte, aber keine 100m weiter hinten war schon der nächste größere Tour-de-France-ähnlicher Pulk zu sehen. Von Schiedsrichtern war bis dahin nichts zu sehen.

Der Gegenwind wurde nun immer stärker, die Geschwindigkeiten langsamer und ein endlich auftauchender Race Marshal sorgte mit diversen Zeitstrafen im Pulk vor mir dafür, dass dieser sich auffächerte, kleiner wurde und das Rennen wieder erkennbar fairer wurde. Leider verschwand dieser Race-Marshal dann bald wieder nach vorne und einige Athleten suchten nun schnell wieder das unmittelbare Hinterrad ihres Vordermanns zur Kraftersparnis. Ich beobachtete die mittlerweile verkleinerte Gruppe und versuchte mein eigenes Ding zu machen, hatte Angst, vielleicht einen Platten zu bekommen, denn die Laufräder wurden durch die Hitze der Sonne und des Asphaltes spürbar härter. Ich hatte sie auf 8,5bar aufgepumpt, aber stimmte der Manometer der ausgeliehenen Pumpe auch genau? Die Sonne bei einem europäischen Wettkampf sorgt in der Regel dafür, dass der Reifendruck später noch um etwas weniger als ein Bar steigt. Aber was macht die hawaiianische Sonne aus dem Reifendruck? Vor allem auch der glühendheiße Asphalt, den man in der Mittagszeit nichtmal für wenige Schritte barfuß betreten konnte. Ab welchem Reifendruck springen Drahtreifen von der Felge oder platzen? Es war fast unterträglich heiß und ich wartete auf die nächste Aid-Station, um mir erneut Wasser über den Körper und in den Helm gießen zu können.

 

Im regulären Abstand (7m sind für den Bereich der Age-Grouper in Hawaii vorgeschrieben) kämpfte ich mich durch den Gegenwind auf dem Quen-K-Highway zurück nach Kona, als von hinten ein weiterer Kampfrichter nahte. Aus den Augenwinkeln nahm ich wahr, wie er zwei hinter mir fahrenden Athleten Penalties (= 4-Minuten-Zeitstrafen) verteilte. Da ich mich i.d.R. Nicht um das kümmere, was hinter mir passiert, weiß ich nicht, ob diese berechtigt waren oder nicht.

Als der Race-Marshal meine Höhe erreicht hatte, erwartete ich, dass er die vor mir fahrende krass irreguläre 7- oder 8 Mann Grupper, die vom früheren Pulk übrig geblieben war, auflöste, aber stattdessen hörte ich erstmal einen Pfiff und meine Nummer "Eight-seven-eight". Das hatte gerade noch gefehlt und wollte ich eigentlich um jeden Preis vermeiden. Die Träume von Podium und Titel waren mit dem damit einhergehenden Zeitverlust Makulatur, und dass danach auch zumindest ein oder zwei der krassen Drafter in der Gruppe vor mir eine Penalty kassierten (ganz genau hatte ich da nach diesem Schrecken nicht mehr darauf geachtet), war in dieser Situation auch kein Trost.

Aber auch im Fußball kann man noch Spiele gewinnen, selbst wenn man durch eine vermeintliche Fehlentscheidung des Schiedsrichters  in Rückstand geraten ist (aus meiner Sicht war mein Abstand im Rahmen des Erlaubten (= in Hawaii bei den Amateuren 7m Abstand zum nächsten Hinterrad; aus Sicht es Kampfrichters waren's anscheinend weniger :-( ) und so versuchte ich auch nach vorne zu denken, zumal ich ja auch nicht wusste, ob nicht auch bei den rund 6 direkten Konkurrenten ums Podium alles glatt laufen würde.

Immerhin lagen ja auch nach absolvierter 4-Minuten-Zeitstrafe noch 40 Rad-Km bei starkem Gegenwind und ein langer Marathon vor mir. Ein paar der verlorenene Plätze konnte ich dann tatsächlich noch auf dem Rest der Radstrecke gut machen und als mir Frederic auf dem Alii-Drive erstmals einen Zwischenstand zurief, nämlich dass ich mich auf Rang 2, rund 6 Minuten hinter derm Top-Favoriten Christophe Guinchard, einem ehemaligen Schweizer Olympiateilnehmer und Weltklasse-Athleten befand, stieg meine Moral wieder und ich konzentrierte mich wieder auf mein Rennen, anstatt den verschenkten 4 Minuten Penalty nachzutrauern! Als ich Frederic das zweite mal ca. bei km 10 traf, rief er mir zu dass der Rückstand nun nur noch 4 Minuten betrug. Ich war mit 7-Minuten-Meilen genau in meinem Zeitplan für den Marathon und hoffte, dieses Tempo möglichst lange durchhalten zu können.Die Hitze auf dem komplett windstillen Alii-Drive war zwar fast unerträglich und man spürte förmlich, wie sie einem die Energie aus dem Körper sog, aber vielleicht hatte Guinchard ja noch größere Probleme. Ich versuchte mich wieder auf mein Rennen zu konzentrieren. Nach 15km wurde es etwas langsamer, aber zumindest konnte ich es vermeiden, in die Krampfschwelle zu rutschen. Auf dem Queen-K-Highway spürte ich dann endlich wieder ein bisschen Wind und einige dünne Wolken schoben sich hier vor die Sonne, so dass die Bedingungen etwas erträglicher wurden. Den Halbmarathon durchlief ich dann in knapp unter 1:30, aber zu diesem Zeitpunkt spürte ich schon, dass ich dieses Tempo nicht auch noch für die zweite Hälfte durchhalten würde können, zumal der schwierigste und langsamste Abschnitt, das legendäre Energylab zwischen km 25 und 30 noch vor mir lag.

 

In dieser Rennphase wurde ich dann auch erstmals an diesem Tag von einem direkten Konkurrenten aus meiner Altersklasse (etwas überraschend, weil ich ja bis dahin noch schnell unterwegs war und mich nicht nach hinten orientiert hatte) überholt. Ich kannte den Athleten nicht, merkte aber, dass er brutal schnell lief. Zwei oder drei Meilen versuchte ich noch gegenzuhalten (und verlor dabei „nur“ 10-15s pro Meile), dann spürte ich, dass das Tempo zu hoch für mich wird. Der Athlet (es war der frühere Weltklasse-Triathlet Rene Rovera, der vor 9 Jahren auf Hawaii schon mal 8. bei den Profis war) verschwand im Energylab irgendwann außer Sichtweite und ich schrieb damit meine (ohnehin nur kleinen) Titelambitionen ab und beschloss nun wenigstens so zäh wie möglich meine podiumsplazierung zu verteidigen.

 

Am letzten Wendepunkt, an dem sich die Athleten begegnen, kam mir Guinchard, der mittlerweile auch von Rovera überholt worden war entgegen. Er war zwar nur noch zwei Minuten vorne, aber sah noch gut aus und ich selbst fühlte mich ja unendlich müde. Als ich selbst den Wendepunkt passiert hatte und die nun mir entgegenkommenden Athleten hinter mir musterte (alle Athleten meiner M45 hatten 800er- oder 900er-Startnummern), glaubte ich zu erkennen, dass der erste direkte Verfolger knapp 4 Minuten hinter mir lag. 4 Minuten und noch knapp 12km vor mir. 4 Minuten sind nicht so wenig, können aber auch mit einem einzigen Oberschenkelkrampf und Gehpause Makulatur sein.

 

Ich entschloss mich ab sofort auf Nummer Sicher zu gehen, an den verbliebenen 6 Verpflegungsstationen nicht mehr im Joggen Wasser und Cola aufzunehmen, sondern zu gehen, da man dann einfach mehr Schwämme und Wasser sich nehmen kann und damit den körper besser runterkühlen kann. Natürlich verliert man bei dieser Variante pro Verpflegungsstation rund 30s, aber das Risiko, dass irgendwann zwischen den Aidstations der Akku plötzlich komplett leer ist oder der Kreislauf aufgrund der immer noch brutalen Hitze kollabiert, ist so aus der Erfahrung heraus deutlich reduziert.

So schleppte ich mich dann mit immer müderen Beinen von aid-station zu aid-station, wünschte mir endlich mal wieder Aufmunterung durch Zuschauer (auf dem Queen-K-Highway ist es außer den Athleten und den Volunteers zum Sterben einsam) und ich dachte auch erstmal gar nicht mehr richtig an die Plazierung, sondern wollte das Rennen nur einfach mit Anstand finishen. Einfach diesen Tag ins Ziel bringen.

Drei Kilometer vor dem Ziel kurz vor der Palani-Road erwartete mich dann Frederic. Was für eine Wohltat, jetzt wieder eine Ansprache vor mir zu haben. Jetzt kam noch ein fieser Anstieg kurz vor Kona, (die Steigung, an der Hellriegel in den 90ern nach 7 Stunden Führung noch von Mark Allen überholt worden war und wo wenige Jahre zuvor Mark Allen im IronWar gegen Dave Scott das Rennen für sich entschieden hatte.

Diese Steigung ist nicht schlimm, aber sie genügt mit der all der Vorermüdung des bsiherigen Rennens und der 39 bisherigen Laufkilometer, dass die Schritte unendlich kurz werden und die Steigung dadurch noch länger. Aber dann geht es bergab, man kommt wieder in bebautes Gebiet, es tauchen wieder ein paar Zuschauer auf. Als die Steigung überwunden war legte ich nochmal eine letzte kurze Gehpause an der letzten Aidstation ein, trank zwei Becher Cola. Vor Jahren hatte Paula Newby Frazer diese aidstation ausgelassen und wollte ohne Flüssigkeitsaufnahme ins Ziel und kollabierte dann nur 600m vom Ziel entfernt auf dem Alii drive. Das sollte mir nicht passieren. Frage an Frederic:" ist irgendein direkter Konkurrrent auf Sichtweite?" Frederic verneinte.

Ich wollte trotzdem keine Zeit verschenken und beschleunigte nochmal auf ein Tempo von deutlich unter 7 Minuten/ Meilen, bergab auf der Palani-Road liefen die Beine wieder und als ich in Richtung Alii-Drive abbog, begann ich mich erstmals auf den Zieleinlauf zu freuen. Ich schob die Brille ins Haar und schloss den Triathlonanzug für das Zielfotobild, laufe schon auf dem Alii Drive, will entspannen und den Zieleinlauf genießen, da plötzlich schreit Frederic „ Papa mach schnell, da kommt einer!“ Kaum dass ich mich versehe, ist der unerwartete Gegner auch schon auf gleicher Höhe mit mir. Was für ein Schrecken, woher kam der plötzlich her? Statt entspanntem Zieleinlauf jetzt noch mal alle Kraft in den Endspurt gelegt (es war erstaunlicherweise noch mehr als genügend Energie für einen langen 200m-Spurt vorhanden) und so rette ich dann nach 9 1/4 Stunden Renndauer gerade noch 6s auf Platz 4 und komme (das merke ich aber erst später) sogar bis auf 30s noch an den lange führenden Schweizer Christoph Guinchard ran.

Im Ziel gab es dann noch einige Minuten Verwirrung, denn Guinchard meinte er wäre Dritter; ich hätte ja dann nur den Spurt um Rang 4 gewonnen? Frederic war per SMS das Ganze Rennen über mit den Lieben daheim verbunden, die wiederum den live-Ticker beobachteten. Aber wenige Kilometer vor Zieleinlauf war der Liveticker zusammengebrochen.

20 Minuten nach Zieleinlauf dann die endgültige Bestätigung und Erlösung: Es ist tatsächlich der dritte Platz. Nach dem verkorksten Rennen 1996 habe ich nun doch noch meinen Frieden mit der Insel gefunden und der auf Twitter unverzögert veröffentlichte Stolz meines Sohnes auf seinen Dad ("3rd place in his Agegroup in 9:13h. Daddy, I'm proud of you.") ist die schönere Belohnung für 9h 13 Minuten Arbeit als die Ehrenschale beim Sieger-Bankett am Tage darauf!

 

 

ein Video von der Siegerehrung gibt es hier (Vielen Dank an Tim für die Aufnahme).

 

 

Was ich beim Endspurt um Rang drei nicht wusste: in Hawaii werden mittlerweile die ersten 5 jeder Altersklasse bei der Award-Ceremony geehrt (das war 1996 noch nicht so). Hätte ich mich gar nicht so schicken müssen, um da oben auf der Bühne zu stehen ;-) )