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Scham, Angst und Vorfreude...

 

Gut 23 Stunden dauert es noch. Dann beginnt nach Monaten der mehr oder weniger konsequenten Vorbereitung mein längster Tage des Jahres.
Ich weiß nicht, ob es gerade ein Vorteil ist, dass ich mich durchaus schon als "alter Hase" in Sachen Langdistanz-Finishs (6mal) bezeichnen kann. Natürlich spielt der Kopf beim Triathlon eine wahnsinnig wichtige Rolle, und der sagt mir, dass der Umfang meines Trainings sicher schon weniger war. Aber der Kopf weiß eben auch, welche Anstrengungen, ja Höllenqualen morgen auf mich zukommen werden. Kein Athlet durchlebt diesen Wettkampf ohne den Kampf gegen den inneren Schweinehund. Schon gar nicht ein Starter wie ich, der den Sport liebt, aber nie gänzlich in den Mittelpunkt seines Lebens gerückt hat. Will meinen: Auch während der diesjährigen EM habe ich nie auf Alkohol, Grillfleisch oder Chips und Süßigkeiten verzichtet.
Das Ergebnis: Als ich gestern meine Startunterlagen in Roth abgeholt habe, kam ich mir fast vor wie ein Aussätziger. Sportler aus ganz Europa standen um mich herum und fast jeder wirkte auf mich wie ein Asket, der gerade sechs Monate Höhentrainingslager in Chile hinter sich hatte. Aber auch dieses Gefühl kenne ich von den bisherigen Anmeldungen. Nur gut, dass ich die Kollegen nicht nach ihren jeweiligen Trainingsumfängen gefragt habe...
Meine "Vorbereitung" sah natürlich auch vor, meine Beine standesgemäß der Haare zu entledigen. Und dafür bin ich erstmals und wohl auch letztmals in eine professionelles "WAX-Studio" gegangen. Das war gleich um die Ecke von meinem Arbeitsplatz und da ich mich fast immer bei so was schneide und unendlich lange brauche - gab ich die 35 Euro aus. Männer, ich kann Euch sagen: seid froh, dass ihr nicht zwei XX-Chromosome in die Wiege gelegt bekommen habt. Die Dame, die bei mir das warme Wachs immer wieder aufgetragen hat, arbeitet nebenberuflich noch im Schlachthof. Vielleicht waren DAS ja schon die größten Leiden vor Roth...
Tja sicher fragt Ihr Euch gerade, wie ich mich gerade fühle. Bisher überwog die Angst, dass ich noch einmal in Roth scheitern könnte. Vor vier Jahren musste ich das erste und hoffentlich auch letzte Mal bei einem Triathlon aussteigen. Es waren 11 Grad, es regnete wie aus Kübeln und ich dachte mir damals: Ach, auf die Regenjacke kannst du ruhig verzichten. Tolle Idee!! Nach 40 Km Rad musste ich völlig unterkühlt und ohne jeglichen Kampfgeist aussteigen. Noch am Abend meldete ich mich zwar für "Cologne226" an und finishte dort auch Wochen später - trotzdem ist dieser Tag im Juli 2008 für mich als die "Schmach von Roth" in meine persönlichen Annalen eingegangen. Diese Schmach gilt es morgen zu tilgen. Denn für mich steht über allem IMMER das Finish und nicht die Zeit.
Weil ich zuletzt natürlich oft an dieses Ausscheiden gedacht habe, stieg natürlich auch diesmal die Angst, dass meine Familie und Freunde wieder vergeblich an die Strecke kommen könnten. Aber diese Angst wurde gestern Mittag deutlich gemildert: Da rief mich ein lieber Freund und Arbeitskollege an. Sebastian zeigte 2008, also bei genau jener Regenschlacht, DEN Biss, den ich nicht hatte. Als er damals ins Ziel kam, verdrückte ich mehr als eine Träne. Vor Freude! Denn ich durfte Sebastian fast ein Jahr lang auf dem langen Weg zum ersten Finish mit ein paar (Trainings-)Tipps zur Seite stehen. Sein Finish tröstete mich damals über mein Versagen.
Ja, und genau jener Sebastian rief mich gestern an und war total aufgeregt, weil er "so neidisch" auf mich wäre. Er hätte jetzt auch gerne dieses Gefühl, bald auf die Rennstrecke losgelassen zu werden. Seine Begeisterung darüber, dass ich nach vier Jahren Pause wieder mitmache, hat sich auf mich übertragen. Jetzt spüre auch ich Vorfreude. In diesem Sinne: Roth, ich komme!!!
Noch knapp 22 Stunden bis zu meinem Start um 7 Uhr!